Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Handeln.

Predigt am 16. August 2009

 

Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. (Galater 5,25)

 

Liebe Gemeinde,

heute, in der der dritten und letzten Predigt der kleinen Reihe über das, was wir so den ganzen langen Tag so tun, geht es um das Handeln. Gemeint ist damit nicht "Handel treiben" oder das ich "Handlungen" durchführe. Sondern es geht mir um das gemeinsame Handeln, um die Dinge, die wir gemeinsam tun. Letztlich darum, wie in Gruppen oder der Gesellschaft miteinander Dinge auf den Weg bringen, unser Gemeinwesen, auch unsere Kirchengemeinde gestalten. Da wird viel Arbeit zusammen, viele Menschen handeln hier in Kindergärten und Gemeindekreise, in Seelsorge und Gottesdienst. Worauf ich heute früh den Blick legen möchte, ist aber die Frage: Wie kommen wir eigentlich zum gemeinsamen Tun und Handeln?

Stellen Sie sich vor, sie sind Mutter oder Vater oder auch Kind einer vierköpfigen Familie. Sie planen den gemeinsamen nächsten Urlaub. Sie sitzen dazu im Wohnzimmer und - ja, was tun sie nun? wie kommen sie zu einem Urlaubsziel?

Der Vater will in die Berge wandern, sitzt sonst den ganzen Tag am Schreibtisch.

Die Mutter, nehmen wir an, ist Lehrerin, ist den ganzen Tag auf den Beinen, sehnt sich nach Sonne und vor allem nach Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe.

Die sechzehnjährige Tochter möchte unbedingt ans Meer und an den Strand, will den neuen Bikini präsentieren und Eindruck machen.

Der vierzehnjährige Sohn, ach, dem ist eigentlich alles egal. Nur nicht Ausland, da kommt er mit seinem Handy nicht so preiswert ins Internet und kann nicht mit seinen Freunden Kontakt halten und chatten.

Das ist die Ausgangslage und wenn die vier Glück haben und miteinander reden können, dann finden sie eine Lösung, mit der alle zufrieden sind. Die Wege dahin können sehr verschieden sein.

Für unsere Frage, wie wir denn gemeinsam Handeln können, ist der Ausgang dieses Familienrates unerheblich. Zwei Dinge werden aber an dem Beispiel sofort deutlich. Zum einen: Beim gemeinsamen Handeln - ob nun in der Familie, in der Stadt, in der Gesellschaft, der Kirchengemeinde - treffen Menschen mit unterschiedlichen Zielen und Vorstellungen, ja Bedürfnissen aufeinander. Und zum anderen: wenn wir nicht von einer Diktatur ausgehen, müssen wir Wege finden, zu Lösungen zu kommen.

Es geht also, wenn wir gemeinsam Handeln, um Ziele, die wir verfolgen. Bewegung im Urlaub. Ruhe im Urlaub. Internet auch im Urlaub. Den Bikini präsentieren. Und hinter den Zielen stecken Wünsche und Absichten, Bedürfnisse. Und lässt sich dann in Aufgaben übersetzen. Für die Familie lautet die Aufgabe: Sucht nach einem Urlaubsziel, mit dem alle vier zufrieden sind. Das muss nicht heißen, dass alle Wünsche in Erfüllung gehen müssen, aber dass es am Ende alle zufrieden sind. In unserem Beispiel, ich spinne jetzt mal, könnte das Ergebnis Korsika lauten. Strand, Sonne, aber auch Berge. Und für den Sohnemann suchen wir dann halt ein Hotel, wo es einen kostenlosen Internetzugang in einer Ecke gibt.

Auch die Bibel, schon im ersten Buch Mose, formuliert Aufgaben für uns Menschen. Im ersten Schöpfungsbericht heißt es:

Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. 28 Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan. (Gen 1,27f.)

Und im zweiten heißt es:

Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. (Gen 2,15)

Da werden Aufgaben für uns formuliert, hinter denen Ziele erkennbar sind. Die Erde bevölkern und beherrschen. Die Erde bebauen und bewahren.

Aus Zielen entstehen Aufgaben. Kinder brauchen Bildung - wir müssen ein Bildungssystem organisieren. Wir wollen Gesundheit - wir brauchen Krankenhäuser und Ärzte. Gott will, dass wir das Evangelium verkündigen - wir brauchen Pfarrerinnen und Pfarrer dazu, aber auch Gottesdiensträume. Usw. usw.

So weit ist das ja noch ganz einfach. Schwierig wird es, wenn es konkret: Wie viele Schulen oder Lehrer, wie viele Krankenhäuser und Ärzte, wie viele Pfarrerinnen und Kirchen brauchen wir, wollen wir unterhalten usw. usw.

Deswegen gehört zum gemeinsamen Handeln immer auch das gemeinsame Aushandeln. Nachdenken, Reden, Zuhören, Streiten, sich einigen.Da gibt es sehr verschiedene Wege, solche Prozesse zu gestalten. Ich persönlich habe eine gewisse Vorliebe für das Palaver der Indianer. Möglichst keine Abstimmungen und Mehrheitsentscheidungen, sondern Gespräch und Diskussion, bis sich Lösungen ergeben, die für alle akzeptabel sind. Geht nicht immer, es gibt oft Zwänge und Zeitdruck, keine Frage. Aber vielleicht geht es doch öfter, als wir denken. Nur den Druck müssen wir dann aushalten, dass es eben länger dauert. Aber im Palaver besteht für mich die Chance, dass möglichst viele Meinungen, Menschen zu Wort kommen. Und sich meine Meinung, meine Zielvorstellung, meine Sicht der Aufgaben auch verändert. Das ist ganz normal. Wenn wir nochmal an die beiden Bibelstellen denken, dann könnte ich mir vorstellen, dass manch eine oder einer unter uns bei dem Satz: Seid fruchtbar, mehret euch und macht euch die Erde unteran! Bauchschmerzen empfindet. Geht mir zumindest so, aufgrund unseres oft zerstörerischen Umgangs mit der Schöpfung. Aber bebauen und bewahren, ja, da kann ich mit. D.h. Ziele, Wünsche, Absichten, Aufgaben verändern sich mit der Zeit. Aber Bebauen und bewahren sind dabei zwei Worte, zwei Pole, die immer zusammen im Blick bleiben müssen.

Vielleicht denkt der eine oder die andere von Ihnen bei diesen Gedanken auch an die Diskussionen hier in der Kirchengemeinde über Gemeindezentren, Stadtmitte, Kindergärten, Jugendheime und was auch immer. Oder auch an die ganz aktuelle Frage, ob der Pfarrer unbedingt neben der Kirche wohnen muss. Auch hier geht es um Ziele, Vorstellungen, Aufgaben, die wir sehen. Und auch da sehen wir, dass wir unterschiedlich denken und empfinden. Das ist normal. Wichtig ist mir aber die Erinnerung an den Vers aus dem Galaterbrief, der über dieser Predigt steht:

Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. (Galater 5,25)

Die Ziele, die Aufgaben die wir verfolgen, beruhen auf den Zusagen und der Einladung Gottes. Sein Geist ruft uns, bietet uns glauben, Vertrauen an, Erkenntnis von uns selbst, auch Sündenerkenntnis. Und weist uns von dort her auf den Weg der Liebe - zu Gott, uns selbst und den Mitmenschen. Dies Evangelium zu verkündigen, dafür gibt es die Kirche und die Kirchengemeinden. Das ist das Ziel Gottes, uns seine Liebe nahezubringen. Und wir sind eingeladen und aufgefordert zugleich, diese Aufgabe zu unterstützen, hier gemeinsam zu handeln. Da sagt Paulus: Wenn ihr aus diesem Geist lebt, so handelt auch daraus.

Was heißt das denn nun für uns hier vor Ort, die wir ja immer noch und noch weiter in diesen schwierigen Fragen zur Zukunft unserer Gemeinde und Gemeinden stecken?

Ich sag das mal ganz persönlich. Wir haben in unserer Kirchengemeinde mehrere Jahre sehr heftig, sehr emotional diskutiert und viele von uns haben sich da Verletzungen geholt, aber auch Verletzungen zugefügt. Viel weiter sind wir dabei nicht gekommen. Seit zwei Jahren etwa ist es ruhiger geworden. Das Presbyterium streitet auch weiter um den richtigen Weg, aber nicht mehr so schnell und heftig. Etwas von dem Geist des Palavers - und der ist nicht identisch mit dem Geist Gottes, aber er ist manchen Punkten ein Geschwisterkind -, etwas von diesem Geist ist eingekehrt. Lieber noch mal vier Wochen oder auch acht länger warten und nachdenken. Und das für mich erstaunliche und auch segensreiche ist: Wir kommen weiter. Finden Lösungen. Kommen auf neue Gedanken. Entscheiden auch wichtige Fragen. Und haben das Gefühl, dass die Gemeinde diesen Weg mitgeht und wir hoffen, dass die Gemeinde, also: Sie dann auch die schmerzlichen Entscheidungen mitträgt.

Gemeinsam handeln, dass heißt sich über die Ziele einig werden, reden, reden und immer wieder reden. Auch streiten und verhandeln. Auch entscheiden. Und wir Christinnen und Christen haben dabei noch einen unschätzbaren Vorteil. Wir kommen von der Sündenvergebung her. Damit haben wir Gott im Rücken, der uns einlädt und auffordert, aufeinander zuzugehen, zu reden, aber zuzuhören. Dieses Ziel unseres Lebens, Gemeinschaft mit Gott, haben wir schon hinter uns und vor uns zugleich. Es ist Ansporn und Entlastung zugleich. Und daher:

Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln, oder leicht abgewandelt gesagt:

Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch aus diesem Geist heraus handeln!

Amen.